„Traumasensibles Arbeiten“ in der Psychotherapie und Beratung bedeutet, dass ich, wie viele Therapeut*innen, grundsätzlich davon ausgehe, dass viele Menschen, die sich therapeutische Hilfe suchen, potenziell traumatische Erfahrungen gemacht haben, auch wenn diese nicht sofort bekannt oder Thema der Therapie sind. Das können Erfahrungen der Gewalt, der Vernachlässigung oder von großer Angst und Verlassenheit sein. Ich habe daher daher den Grundsatz, mein Vorgehen entsprechend achtsam, sicherheitsorientiert und respektvoll gestalten.
Was heißt traumasensibles Arbeiten konkret?
Traumasensibles Arbeiten ist vor allem eine Haltung und Arbeitsweise, die in jeder psychotherapeutischen Behandlung wichtig ist.
Zentrale Elemente sind:
1. Sicherheit an erster Stelle
- Aufbau eines emotional sicheren Rahmens
- Transparenz: Was passiert in der Therapie? Warum?
- Keine überraschenden Interventionen
- Klare Grenzen, verlässliche Struktur
2. Vermeidung von Retraumatisierung
- Keine Konfrontation mit traumatischen Inhalten und Erinnerungen
- Belastende Inhalte nur in dem Tempo, dass die Person ihre Gefühle regulieren kann
- Achten auf Trigger, Überforderung, Dissoziation
3. Ressourcen- und Stabilitätsorientierung
- Stärkung von Selbstwirksamkeit
- Arbeit mit Fähigkeiten zur Emotionsregulation
- Fokus nicht auf Defizite, sondern auch auf hilfreiche Überlebensstrategien
4. Macht- und Beziehungssensibilität
- Bewusstsein für das Machtgefälle in der therapeutischen Beziehung
- Respekt vor Autonomie und Wahlmöglichkeiten
- „Nichts über die Person hinweg“
5. Symptome als sinnvolle Reaktionen verstehen
- Symptome werden nicht als „krank“ gesehen, sondern als Anpassungsleistungen
an überwältigende Erfahrungen
(z. B. Dissoziation, Vermeidung, Hypervigilanz)
Warum ist traumasensibles Arbeiten nötig?
1. Trauma ist sehr häufig
Viele Menschen haben:
- Gewalt, Vernachlässigung, Missbrauch
- schwere Verluste
- chronische Überforderung oder Bindungstraumata
erlebt – oft ohne es selbst als „Trauma“ zu benennen.
Ohne traumasensible Haltung kann Therapie ungewollt schaden.
2. Klassische Methoden können retraumatisierend wirken
Beispiele:
- Zu frühe Exposition
- Druck zur Offenlegung
- „Warum“-Fragen
- Konfrontative Deutungen
Ohne Sicherheit reagiert das Nervensystem nicht lernfähig, sondern im Überlebensmodus.
3. Traumatisierte Menschen haben oft wenig Vertrauen
- Erfahrungen von Grenzverletzung oder Machtmissbrauch
- Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen
- Angst vor Kontrollverlust
Traumasensibles Arbeiten ermöglicht erst Bindung, Vertrauen und Wirksamkeit.
4. Wirksamkeit der Therapie steigt
Forschung zeigt:
- Sicherheit + Beziehung → bessere Ergebnisse
- Stabilisierung vor Verarbeitung → weniger Abbrüche
- Selbstbestimmung → mehr Integration
Kurz gesagt
Traumasensibles Arbeiten bedeutet:
Nicht zu fragen: „Was stimmt nicht mit dir?“
sondern: „Was ist dir passiert – und was brauchst du jetzt?“